Aktuelles zur Kapitalertragsteuer

cum_e_Nico_Meier

Aus gegebenem Anlass, nämlich dem Besuch der Steuerfahndung bei der Hypovereinsbank sowie einem Beschluss des FG Kassel, der nachfolgende Beitrag zu sog. cum-ex-Geschäften. Die Publikationsfassung dieses Beitrags wird demnächst bei JURIS erscheinen.

Mit Beschluss vom 8.10.2012 hat das FG Kassel in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Kapitalertragsteueranrechnung versagt:

Ein Finanzunternehmen hatte zwischen 2006 und 2008 dividendenberechtigte Aktien deutscher Aktiengesellschaften kurz vor oder am Tag der jeweiligen Hauptversammlung gekauft mit Dividendenanspruch („cum dividende“) und kurz nach der Dividendenzahlung wieder verkauft. Mit der Ausführung ihrer Wertpapiergeschäfte hatte die Antragstellerin eine Bank beauftragt. Diese schrieb die anfallenden Dividenden (netto, also abzüglich Kapitalertragsteuer) dem Konto der Antragstellerin gut und bescheinigte ihr per Jahressteuerbescheinigungen für die Streitjahre den Einbehalt der Kapitalertragsteuer auf die Dividendenerträge.[ref]zum bis zum 31.12.2011 geltenden System des Kapitalertragsteuerabzugverfahrens siehe Berger/Matuszewski, BB 2011, 3097 ff.; Desens, DStZ 2012, 142 ff.; Englisch, FR 2010, 1023 ff.; Podewils, AG 2010, 391 ff.[/ref]

Besonderheiten ergaben sich hierbei beim Verkauf von Aktien kurz vor dem Dividendenstichtag: Bei der Veräußerung börsennotierter Aktien, die regelmäßig bei Clearstream Banking als Wertpapiersammelbank verwahrt werden, geht das Eigentum erst mit der entsprechenden Umbuchung bei Clearstream über, welche diese erst vornimmt, wenn der Veräußerer die Aktien zu liefern hat, nach den Börsenusancen am zweiten Börsentag nach Geschäftsabschuss.[ref]siehe § 7 Abs. 1 der Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse v. 12.10.2009 (Börsenusancen); MünchKommHGB-Einsele, 2. Aufl. 2009, Depotgeschäft, Rn. 97 und 108; Rau, DStR 2007, 1192, 1193; Podewils, AG 2010, 391, 392.[/ref]

Das – für steuerliche Zwecke maßgebliche – wirtschaftliche Eigentum geht nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AO aber bereits dann über, wenn der Erwerber die tatsächliche Sachherrschaft über das Wirtschaftsgut in der Weise ausüben kann, dass er den zivilrechtlichen Eigentümer im Regelfall für die die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann.

Bei Wertpapiergeschäften kann der Erwerber bereits am Tag des schuldrechtlichen Vertragsabschlusses über die Wertpapiere verfügen und sind insbesondere Gefahr, Nutzungen und Lasten der Wertpapiere, also Kurschancen und -risiken, auf ihn übergegangen.[ref]BFH, Urt. v. 15.12.1999 – I R 29/97, BStBl II 2000, 527, 529 f.; bestätigt durch BFH, Beschl. v. 20.11.2007 – I R 85/05, IStR 2009, 101; dazu Voss, DStR 2009, 1345 ff. sowie Sorgenfrei, IStR 2009, 102.[/ref]

Folge hieraus: Bei Aktiengeschäften um den Dividendenstichtag gibt es hinsichtlich derselben Aktie zwei Eigentümer: nämlich den Veräußerer als zivilrechtlichen und den Erwerber als wirtschaftlichen Eigentümer.[ref]Podewils, AG 2010, 391 ff. m. w. N.[/ref]; dies gilt auch für außerbörslich – OTC erworbene Aktien; hierzu eingehend Englisch[ref]Englisch, FR 2010, 1023, 1028 ff.; Desens, DStZ 2012, 142, 148 ff. sowie DStZ 2012, 246, 249 f.; a. A. Rau, DStR 2011, 510 ff.[/ref]

Bei einem „normalen“ Verkauf erhält der Veräußerer allerdings weder die Dividende noch eine Steuerbescheinigung, da hinsichtlich der veräußerten Aktien ein Sperrvermerk in seinem Depot angebracht wird.[ref]Podewils, AG 2010, 391, 393.[/ref] Verkauft der Veräußerer die Aktien hingegen „leer“, d. h. ohne entsprechenden Bestand in seinem Depot, entfaltet dieser Sperrvermerk keine Wirkung. Vielmehr ist derjenige, bei dem der Veräußerer sich die Aktien noch beschaffen muss, am Dividenstichtag noch Eigentümer dieser Aktien und erhielt dementsprechend sowohl die Nettodividende als auch die Steuerbescheinigung nach § 45a Abs. 3 EstG.[ref]Desens, DStZ 2012, 142, 143; Podewils, AG 2010, 391, 393.[/ref]

Zugleich erhielt jedoch auch der Erwerber einen Betrag in Höhe der Nettodividende gutgeschrieben sowie eine entsprechende Steuerbescheinigung, da er die Aktien „cum Dividende“ erworben hat und ihm daher auch im Falle eines Leerverkaufs durch den Veräußerer die Dividende zusteht. Bei der Gutschrift handelt es sich indes nicht um die von der jeweiligen Aktiengesellschaft ausgeschüttete Dividende, sondern um eine Dividendenausgleichszahlung „manufactured dividend“ dafür, dass der „leer“ verkaufende Veräußerer nicht in der Lage ist, einen eigenen Dividendenanspruch auf den Erwerber zu übertragen. Zu diesem Zweck belastet Clearstream Banking den Betrag der Nettodividende dem Depotkonto des Veräußerers und schreibt ihn dem Depotkonto des Erwerbers gut. Diese Ausgleichszahlung wird daher auch als „manufactured dividend“, also als künstliche Dividende, bezeichnet.[ref]Storg, NWB, F. 3, 14327, 14329 = NWB 2007, 169, 171: „künstliche Dividendenzahlung“.[/ref] In Bezug auf die Nettodividende wird somit nicht mehr verteilt als zuvor von der Aktiengesellschaft ausgeschüttet worden ist. Die Kapitalertragsteuer wird hingegen ggf. doppelt bescheinigt.

Um hieraus resultierenden Steuerausfällen entgegenzuwirken, hat der Gesetzgeber zunächst mit dem JStG 2007[ref]BGBl. I 2006, 2878; hierzu Seip/Füllbier, BB 2007, 477, 479.[/ref] reagiert und Dividendenausgleichszahlungen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG der materielle Steuerpflicht sowie nach Maßgabe der §§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 3, 44 Abs. 1 S. 3 EStG-a.F. der Kapitalertragsteuerpflicht unterworfen.

Abzuführen war die Kapitalertragsteuer nach § 44 Abs. 1 S. 3 EStG-a.F. auf Rechnung des Erwerbers durch das inländische Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut, das für den Veräußerer der Aktien dessen Verkaufsauftrag ausführt. Die von dem Kredit- bzw. Finanzdienstleistungsinstitut abgeführte Kapitalertragsteuer wurde dem Konto des Veräußerers zusammen mit der Dividendenausgleichszahlung belastet.[ref]BT-Drucks. 16/2712 v. 25.9.2006, S. 48; Storg, NWB, F. 3, 14327, 14331 = NWB 2007, 169, 173; Desens, DStZ 2012, 142, 143; Podewils, AG 2010, 391, 394.[/ref]

Die Anwendung von § 44 Abs. 1 S. 3 EStG-a.F. und damit der Einbehalt von Kapitalertragsteuer ging jedoch ins Leere, wenn die betreffenden Geschäfte ohne Intermediär oder über einen ausländischen Intermediär abgewickelt wurden.[ref]Podewils, AG 2010, 391, 394 f.; Bruns, DStZ 2011, 676, 677.[/ref]

Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber „nachgebessert“ und mit dem OGAW-IV-Umsetzungsgesetz mit Wirkung ab 01.01.2012 die Abzugsverpflichtung verlagert.[ref]BGBl. I 2011, 1126; zur Neuregelung Kussmaul/Huwer/Kloster, RdF 2012, 314, 322 ff.;Desens, DStZ 2012, 142, 153 f.[/ref]

Die ausschüttende Aktiengesellschaft leitet die Bruttodividende, sprich ohne Kapitalertragsteuerabzug, an die auszahlenden Stellen weiter; die Abzugsverpflichtung liegt nunmehr bei dem inländischen Institut, das die Kapitalerträge gutschreibt bzw. auszahlt – oder falls die Gutschrift bzw. Auszahlung durch eine ausländische Stelle erfolgt – bei der letzten inländischen Stelle, die die Beträge an die ausländische Stelle weitergeleitet hat

Steuerausfälle sind mit dem neuen System damit ausgeschlossen.

Für die Zwischenzeit hatte die Finanzverwaltung angeordnet, dass Kapitalertragsteuer in den genannten Fällen dann nicht anzurechnen sei, wenn zwischen dem Leerverkäufer und dem Erwerber Absprachen bestehen, die einen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen dem Leerverkauf und dem Kauf begründen.[ref]BMF v. 5.5.2009, IV C 1 – S 2252/09/10003, BStBl. I 2009, 631; ergänzt durch BMF v. 21.9.2010, IV C 1 – S 2252/09/10003:004, DStR 2010, 2082.[/ref] Außerdem verlangte die Finanzverwaltung – rückwirkend ab 01.01.2009 – Angaben in der Steuerbescheinigung zu Kapitalerträgen aus Aktien, die „cum dividende“ erworben, aber „ex dividende“ geliefert wurden, ferner die Bescheinigung im Rahmen der Veranlagung gemeinsam mit der Bescheinigung eines zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung befugten Berufsträgers i. S. v. §§ 3, 3a SteuerberatungsG oder einer behördlich anerkannten Wirtschaftsprüfungsstelle, in der dieser bestätigt, dass ihm auf Grund des ihm möglichen Einblicks in die Unternehmensverhältnisse und nach Befragung des Steuerpflichtigen keine Erkenntnisse über Absprachen des Steuerpflichtigen im Hinblick auf den über den Dividendenstichtag vollzogenen  Erwerb der Aktien sowie entsprechende Leerverkäufe, bei denen § 44 Abs. 1 S. 3 i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG keine Anwendung gefunden hat, vorliegen.[ref]zu Einzelheiten BMF v. 28.12.2009, IV C 1 – S 2252/09/10003, DStR 2010, 52.[/ref]

Richtig an der Entscheidung des FG Kassel ist nur der – bereits lange bekannte – Ausgangspunkt bzw. Befund, dass nach dem alten Kapitalertragsteuersystem in den besagten Konstellationen Steuerbescheinigungen doppelt ausgestellt werden konnten. Zutreffend ist ferner noch die Feststellung, dass die im Wege des Kapitalertragsteuerabzugs anfallende Einkommensteuer bereits dann „erhoben“ im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG ist, wenn sie vom Schuldner der Kapitalerträge für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge einbehalten wurde.

Dies ist vorliegend aber unstreitig geschehen, nämlich durch die ausschüttende Gesellschaft[ref]so auch Englisch, RdF 2012, 425, 426.[/ref]. Das FG Kassel konzediert selbst, dass es auf eine Abführung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer an das Finanzamt dabei nicht ankommt. Die Gefahr von Steuerausfällen ist, wie selbst dem FG mithin bekannt war, dem alten Kapitalertragsteuersystem immanent gewesen.[ref]siehe bereits Podewils, AG 2010, 391, 394 f.[/ref]

Deshalb auch die Neuregelung ab 01.01.2012. All dies war dem Gesetzgeber allerdings schon spätestens bei Verabschiedung des JStG 2007 bekannt; in der Gesetzesbegründung heißt es ausdrücklich, dass mit der damaligen Einfügung der §§ 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4, 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 3, 44 Abs. 1 S. 3 EStG-a.F. „Steuerausfälle verringert werden sollten“.[ref]Gesetzesbegründung zum JStG 2007 BT-Drucks. 16/2712 v. 25.9.2006, S. 46 f.[/ref]

Der Gesetzgeber wusste also, dass Steuerausfälle nach wie vor nicht ausgeschlossen waren, scheute jedoch offensichtlich die Mühsal einer vollständigen Neukonzeption, wie sie dann ab 2012 doch erfolgte.

Die Entscheidung des FG Kassel ist damit mit der für den streitgegenständlichen Veranlagungszeitraum geltenden Rechtslage unvereinbar und steht auch in Widerspruch zur einschlägigen BFH-Rechtsprechung:

Dieser hat entschieden, dass eine etwaige spätere Rückforderung der Steuerbescheinigung durch die Bank nichts daran ändert, dass diese zuvor ordnungsgemäß vorgelegt wurde.[ref]BFH, Beschl. v. 20.08.2007 – I B 98/07, BFH/NV 2007, 2276; BFH, Urt. v. 20.10.2010 – I R 54/09, GmbHR 2011, 319; zustimmend Gosch, BFH-PR 2008, 14; Englisch, RdF 2012, 425, 426.[/ref] Alles andere wäre mit dem Gebot von Rechtssicherheit und Verfahrensökonomie auch unvereinbar. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Kapitalertragsteueranrechnung waren damit erfüllt.

Im Übrigen konnten vernünftigerweise keine Zweifel am Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf die Antragstellerin bestehen. Denn nach der genannten BFH-Rechtsprechung[ref]BFH, Urt. v. 15.12.1999 – I R 29/97, BStBl II 2000, 527, 529 f.; BFH, Beschl. v. 20.11.2007 – I R 85/05, IStR 2009, 101 f.[/ref] geht das wirtschaftliche Eigentum bereits mit dem Abschluss des Kaufvertrags auf den Käufer über. Maßgeblich ist allein, dass Kurschancen und Risiken ab diesem Zeitpunkt auf den Käufer übergehen. Etwaige Lieferverzögerungen im Einzelfall führen lediglich dazu, dass das zivilrechtliche – nicht das wirtschaftliche – Eigentum später übergeht.

Angemerkt sei noch, dass das FG Kassel mit seiner Rechtsauffassung sogar noch über die zwischenzeitlich (ab 01.01.2009) von der Finanzverwaltung per BMF-Schreiben dekretierten Anordnung, dass Kapitalertragsteuer nicht anzurechnen sei, wenn zwischen Leerverkäufer und Erwerber Absprachen bestehen, die einen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen dem Leerverkauf und dem Kauf begründen hinaus. Schon diese BMF-Schreiben verstießen gegen rechtsstaatliche Grundsätze, namentlich Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes wie auch Rückwirkungsverbot[ref]siehe Podewils, AG 2010, 391, 396 f.; Mühlhaus, ErbStB 2009, 213, 214.[/ref]– weswegen der Finanzverwaltung auch schon der ebenso unschmeichelhafte wie zutreffende Titel als „Reparaturgesetzgeber“ zuerkannt wurde.[ref]so Englisch, Börsen-Zeitung v. 11.02.2012, S. 13.[/ref] Für arglistiges Handeln, welches das FG Kassel hier dem Steuerpflichtigen unterstellt, ist also kein Raum.

Gänzlich unverständlich ist auch, weswegen das FG nicht einmal die Beschwerde zum BFH zugelassen hat; denn die Entscheidung widerspricht sowohl der damaligen Gesetzeslage als auch der einschlägigen BFH-Rechtsprechung.

(Artikelbild: © Nico Meier | pixelio.de)

1 Antwort
  1. Noah sagte:

    I really do hope that you are going to be elaborating more on this issue. I would like a bit more information.

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